Stellungnahme zur Aufhebung des Werbeverbots für Abtreibungen (§ 219a StGB)
Sehr geehrter Herr Minister Dr. Buschmann,
sehr geehrte Damen und Herren,
der Bundesverband Lebensrecht e. V. (BVL) ist ein Zusammenschluss 15 deutscher Lebens-rechtsorganisationen, der sich zum Ziel gesetzt hat, sich für den Schutz des Lebensrechts jedes Menschen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod einzusetzen.
Der BVL hält den Entwurf zur Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschafts-abbruch aus zwei Hauptgründen für verfehlt. Erstens wegen der Falschinterpretation des Inhalts von § 219a StGB, der eine Reihe von Missständen behauptet, die nicht bestehen. Zweitens hätte die Abschaffung des Paragraphen Auswirkungen auf andere Bereiche der Abtreibungsregelung und würde eine andere gesellschaftliche Haltung gegenüber Abtreibung bewirken.
- Es gibt zahlreiche Missverständnisse zum Inhalt des § 219a StGB. Dadurch wird ein Bild gezeichnet, welches mit der Realität nichts zu hat. Es werden Begriffe verwendet, die Inhalt und Sinn des Gesetzes nicht wiedergeben. So wird behauptet, es handle sich um ein „Nazigesetz“, es ginge um „Informationsverbot“ (nicht „Werbeverbot“), „Fehlende Versorgung“, „Bedrohung von Abtreibungsärzten“, „Angst vor Lebensschützern“, „Rechtsunsicherheit für Ärzte“ sowie eine „Einschränkung der ärztlichen Berufsfreiheit“. Argumente und Fakten zu diesen Punkten finden Sie im folgenden detailliert erläutert.
- Im Hinblick auf ethische Grundlagen ist der Entwurf ebenfalls verfehlt, denn durch die Abschaffung des § 219a würden Schutzfunktionen für vorgeburtliche Kinder und ihre Mütter im Schwangerschaftskonflikt, die sich aus dem Schutz der Menschenwürde aus Art.1 GG und der darauf fußenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben, faktisch geschwächt. Es handelt sich bei §§ 218 und 219 StGB um einen Kompromiss-Versuch. Eine Abschaffung des § 219a, der ein wichtiger Bestandteil des gesamten Gesetzespaketes ist, hätte verfassungsrechtlich wie politisch weitreichende Konsequenzen. Auch von daher ist die Annahme berechtigt, dass die Änderung der gesamten Abtreibungs-Regelung das eigentliche Ziel ist.
Zu 1. Missverständnisse über den Inhalt und Sinn des § 219a StGB
- „Nazigesetz“
- Entwürfe und Regelungen in Bezug auf ein Werbeverbot für Abtreibung finden sich seit 1871 (Kaiserreich) im deutschen Strafgesetzbuch.
- Eine gesetzliche Vorlage für das 1933 verabschiedete Gesetz (ab 1930 war wegen der Präsidialkabinette praktisch keine Verabschiedung von Gesetzen durch das Parlament mehr möglich) stammt aus der demokratischen Weimarer Republik: „Regierungsvorlage von 1927, § 255: Ankündigung von Abtreibungsmitteln: Wer ein Mittel, einen Gegenstand oder ein Verfahren zur Unterbrechung einer Schwangerschaft öffentlich ankündigt oder anpreist oder einen solchen Gegenstand an einem allgemein zugänglichen Ort ausstellt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Straflos ist die Ankündigung oder Anpreisung eines Mittels, Gegenstandes oder Verfahrens, die zu ärztlich gebotenen Unterbrechungen der Schwangerschaft dienen, an Ärzte oder an Personen, die mit solchen Mitteln oder Gegenständen erlaubterweise Handel treiben, oder in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachzeitschriften.“[1]
- Dass dieses Gesetz, wie viele Gesetze, im Dritten Reich für völkische und inhumane Zwecke missbraucht oder missbräuchlich interpretiert wurde, bleibt unbenommen.
- Nicht thematisiert dagegen werden unter anderem tatsächlich bedenkliche, zum Beispiel eugenische Regelungen (pränataler Bluttest, Abtreibung bis zur Geburt bei Krankheiten / Behinderungen des Kindes) sowie Geschichte und Zielsetzung von Pro Familia, die durch einen „Sozialhygieniker“ des Dritten Reiches (Hans Harmsen) gegründet wurde.[2]
- „Werbeverbot“
- Werbung ist eine Handlung, die von einem Anbieter ausgeht. Ziel und Zweck der Werbung ist es, beim Empfänger eine bestimmte Handlung auszulösen.
- Die Formulierung des § 219a stellt eindeutig klar, dass es um kommerzielle oder anstößige Werbung geht und um nichts anderes.
- Es handelt sich bei § 219a um ein Werbeverbot. Jede/r Abtreibungsexperte/-in kann täglich Informationen zu Abtreibungen veröffentlichen – es darf lediglich nirgendwo vermerkt sein, dass diese Person sie gegen Entgelt anbietet. Hier nämlich endet die Information und beginnt die Werbung (klar definiert mit beabsichtigtem/r Vermögensvorteil/Gewinnerzielungsabsicht).
- Der Deutsche Bundestag 1974 stellte noch einmal fest: § 219 soll verhindern, „daß der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt oder kommerzialisiert“ wird.[3]
- Werbung bedeutet hier nicht, dass Frauen einen Anreiz zur vielleicht gar nicht gewünschten Abtreibung erhalten oder Sonderangebote in Anspruch nehmen.
- Werbung bedeutet hier: Einrichtungen, die Abtreibungen vornehmen, setzen diese Handlung als „Dienstleistung“ auf ihre Internetseiten, in ihre Prospekte etc., um damit Geld zu verdienen (laut Definition: „Verkaufsförderung“).
- Da Abtreibungsexperten eine Gewinnerzielungsabsicht haben, können sie nicht als neutrale, objektive Berater tätig sein. Aus diesem Grund darf eine Frau im Schwangerschaftskonflikt gemäß gesetzlicher Regelung auch nicht von denjenigen Personen beraten werden, die die Abtreibung durchführen.
- In diesem Zusammenhang müsste zum Beispiel Pro Familia geprüft werden, eine Organisation, die Abtreibung als Gesundheitsleistung fordert, bei öffentlichen Aktionen gegen das Lebensrecht vorgeburtlicher Kinder beteiligt ist, aber gleichzeitig in einem gesetzlichen System Beratungen für Frauen im Schwangerschaftskonflikt durchführen darf, welche laut § 219 StGB eine vollkommen andere Beratungsgrundlage verlangen. Des Weiteren führt Pro Familia in sogenannten „Gesundheitszentren“ Abtreibungen durch. Hier besteht einerseits ein Interessen- und andererseits ein finanzieller Konflikt. Pro Familia ist ein gutes Beispiel dafür, dass es ein Werbeverbot für Abtreibung geben und dieses regelmäßig überprüft werden muss.[4]
- Völlig außer Acht gelassen wird des Weiteren, dass § 219a StGB für jeden Selbst wenn also das Standesrecht bestimmte Grenzen für Ärzte auferlegen würde, könnte jede andere Abtreibungseinrichtung, jeder Verein, jede Person öffentlich für Abtreibung werben, zum Beispiel in Jugendzeitschriften, Kinos, U-Bahnen, Konzertprogrammen. So könnte es zukünftig der Fall sein, dass man auf der Straße zwar keine Hilfsflyer mehr für Schwangere in Not verteilen dürfte, dafür aber Werbebroschüren für Abtreibung.
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- „Informationsverbot“
- Bei Information handelt es sich im Kern um eine Aktion, die von den Suchenden ausgelöst wird, die sich über eine Dienstleistung oder ein Angebot informieren möchten.
- Jede Frau kann zu jeder Zeit überall Informationen über Abtreibung erhalten.
- Jede Frau kann zu jeder Zeit in gynäkologischen Praxen, Kliniken etc. anrufen und dort Informationen, Beratungsgespräche und Aufklärung über Abtreibung bekommen.
- Jede Frau kann Adressen von Abtreibungseinrichtungen bei der Beratung in staatlich anerkannten Beratungsstellen erhalten. So soll unter anderem eine von Erwerbsinteressen freie Beratung und Information der Schwangeren sichergestellt werden.
- Nicht unter das Werbeverbot fallen Informationen unter fachlich involvierten Ärzten und in Fachzeitschriften, ebensowenig die individuelle Beratung von Patientinnen und Patienten.
- Ein Beispiel für Fehl- und Falschinformationen liefert das Werbeblatt von Kristina Hänel, Abtreibungsexpertin aus Gießen, das Grundlage für berechtigte Anzeigen gegen sie war[5]: Darin finden sich unter anderem tendenziöse Begriffe („Schwangerschaftsgewebe“, „Fruchtblase“), fälschlich spricht sie von „legalem Schwangerschaftsabbruch“ mit Beratungsbescheinigung. Außerdem soll man eine Kostenübernahmebescheinigung oder Bargeld mitbringen (das Original liegt uns vor).
- „Fehlende Versorgung“
- Laut Statistischem Bundesamt stiegen die Abtreibungszahlen in Bayern 2020 auf 12.487, die höchste Zahl seit mindestens 2012 – eine „fehlende Versorgung“ ist in diesem Bundesland somit ebensowenig festzustellen wie in allen anderen Bundesländern.
- Wozu es führt, wenn Abtreibung als Grundversorgung betrachtet und flächendeckend angeboten wird, zeigt unter anderem die Abtreibungsquote je 1.000 Geburten in Berlin – dort wird etwa jedes fünfte Kind abgetrieben (243 Abtreibungen auf 1.000 Geburten).
- Die Abtreibungsquote (Abtreibungen pro 10.000 Frauen im gebärfähigem Alter) steigt in Deutschland und ist mit 59 wieder auf dem Stand von 2012.
- Eine „bessere Versorgung“ führt zu höheren Abtreibungszahlen, sinkender Hilfsbereitschaft für Frauen im Schwangerschaftskonflikt und weiter steigendem Abtreibungszwang.
- Abtreibung ist keine normale medizinische Dienstleistung, sondern gesetzlich verboten und nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei (Beratungsschein) bzw. legal (medizinische und kriminologische Indikation). Jeder Verweis auf ein „Recht“ auf Abtreibung in Deutschland ist sachlich falsch.
- „Bedrohung von Abtreibungsärzten“, „Angst vor Lebensschützern“
- Einige Abtreibungsexperten wurden wegen Verstoßes gegen § 219a angezeigt – in fast allen Fällen zu Recht, wie gerichtlich festgestellt wurde.
- Verantwortlich für Gesetzesverstöße sind immer diejenigen, die diese Verstöße begehen, nicht diejenigen, die sie zur Anzeige bringen.
- Es gibt keine nachgewiesene Bedrohung, Verletzung oder Schädigung von Abtreibungsexperten oder ihren Einrichtungen in Deutschland.
- Gesprächsangebote, Gebetsaktionen oder Demonstrationen vor Abtreibungseinrichtungen waren bisher gewaltlos und friedlich. Sie stellen für niemanden eine Bedrohung dar, sondern sind Ausdruck der Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit und Freiheit der Religionsausübung. Dasselbe gilt für die höfliche Ansprache von und Hilfsangebote an Passanten, die diese annehmen oder ablehnen können.
- Dagegen gibt es zahlreiche Bedrohungen, Sachbeschädigungen und weitere Angriffe bei pro-life-Demonstrationen, auf Lebensrechtsorganisationen, freie Beratungsstellen oder Kirchen, die diese ethische Grundhaltung haben und unterstützen. Des Weiteren werden „Bannmeilen“ vor Abtreibungseinrichtungen gefordert, die mangels Bedrohung niemanden schützen, dafür aber Freiheiten und Hilfsangebote (die manchmal in letzter Minute angenommen werden, was auch kein gutes Licht auf die gesetzlich vorgesehene Beratungsqualität wirft) einschränken.
- Auch von einer beruflichen „Existenzbedrohung“ kann keine Rede sein. Bei 10 – 20 Abtreibungen à etwa 400,- Euro täglich erzielen Einrichtungen, die sich auf Abtreibung spezialisiert haben, jährlich zum Teil siebenstellige Umsätze.
- „Rechtsunsicherheit für Ärzte“
- Das Gesetz ist eindeutig formuliert, jede Ärztin und jeder Arzt sicherlich problemlos in der Lage, es nachzuvollziehen.
- Frau Hänel wurde vor dem ersten Prozess bereits zweimal angezeigt. Beide Male wurde sie darauf hingewiesen, dass sie illegal für Abtreibung wirbt und dies unterlassen soll. Als sie die Werbung weiterhin betrieb, erfolgte eine dritte Anzeige mit Gerichts-Prozess 2017. Ihr Vorgehen war also zumindest fahrlässig und ignorant, nach eigenem Bekunden ist ihr permanenter Gesetzesverstoß Absicht, um das Gesetz abzuschaffen (siehe auch FN 5).
- „Einschränkung der ärztlichen Berufsfreiheit“
- Eine Einschränkung liegt nicht vor. Ganz im Gegenteil können Abtreibungseinrichtungen ohne gynäkologische oder ganz ohne Fachausbildung und Doktortitel betrieben werden. So ist Kristina Hänel allgemeinpraktische Ärztin ohne Dissertation, Friedrich Stapf führt seit Ende seines Medizinstudiums ausschließlich Abtreibungen durch, ohne Dissertation und ohne Fachausbildung.
- Dagegen gibt es immer mehr Fälle, in denen gutausgebildete Fachleute ihren medizinischen Beruf nicht ausüben können oder entlassen werden, weil sie aufgrund einer Gewissensentscheidung (Gewissensfreiheit ist ein Grundrecht) nicht an Abtreibungen mitwirken möchten. Es gibt weiterhin einschlägige Forderungen, in bestimmten Einrichtungen nur noch abtreibungswilliges Personal einzustellen, womit tatsächlich eine weitere Einschränkung der ärztlichen Berufsfreiheit erfolgen würde.
Zu 2. Änderung der gesamten gesetzlichen Regelung zur Abtreibung
Der Gesetzgeber hat sich um einen gesellschaftlichen Kompromiss-Versuch bemüht, um die schwerwiegenden ethischen Fragen im Zusammenhang mit Abtreibungen zu befrieden. Die aktuelle Fassung der §§ 218 und 219 StGB ist ein solcher Versuch. Damit sollen sowohl Artikel 1 des Grundgesetzes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) als auch die sich daraus ergebende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt und soll der Schutz von schwangeren Frauen im Konflikt und vorgeburtlichen Kindern gewährleistet werden. Mit dem vorliegenden Referentenentwurf steht der gesamte Kompromiss-Versuch, auf Basis von Grundgesetz und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vor dem Ende.
Wie aufgezeigt, stellt die derzeitige Regelung des § 219a StGB keine Behinderung in Fragen der Information oder Aufklärung der betroffenen Frauen dar. Ärzte werden nicht an der Ausführung ihres Berufes gehindert, bedroht oder davon abgehalten, über ihre medizinischen Dienstleistungen zu informieren. Der Referentenentwurf ist außerdem wegen Nutzlosigkeit abzulehnen, bringt er doch keinerlei Verbesserung für Betroffene und ihre schwierige Lebenssituation (weder für schwangere Frauen und vorgeburtliche Kinder noch für Ärzte). Er impliziert demnach nicht nur keine positive Veränderung, sondern wird auch die hart erstrittene gesellschaftliche Befriedung in dieser Frage beenden.
Mit freundlichen Grüßen
Alexandra Maria Linder (Vorsitzende)
[1] Sitzungen vom Oktober 1929 bis Juni 1930 (Abschluss der Beratungen in erster Lesung und der §§ 86 ff. in zweiter Lesung. Gesetzentwurf zum Schutze der Republik und zur Befriedung des politischen Lebens), herausgegeben von Werner Schubert, S. 592.
[2] Seine Biographie findet sich zum Beispiel unter: https://www.dgsmp.de/100-jahre/CD_DGSMP/PdfFiles/Biografien/Harmsen.pdf
[3] BT-Drs. 7/1981, S. 17.
[4] Zur Haltung von Pro Familia: https://www.profamilia.de/fileadmin/publikationen/Fachpublikationen/Standpunkt_Schwangerschaftsabbruch.pdf; zur Beteiligung an Aktionen gegen das Lebensrecht vorgeburtlicher Kinder zum Beispiel: https://wegmit218.de/
[5] Frau Hänel verstößt notorisch und absichtlich seit mindestens 2009 gegen § 219a. Ihre Darstellung als Opfer ist vollkommen unangebracht, auch angesichts des Vermögensvorteils, den sie durch illegale Abtreibungswerbung seitdem erzielt.