Stellungnahme der Juristen-Vereinigung Lebensrecht e. V. (JVL) zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs

Prof. Dr. Christian Hillgruber, Universität Bonn, Vorsitzender der Juristenvereinigung Lebensrecht e.V., äußert sich wie folgt:

„Nach dem von Abgeordneten des Deutschen Bundestags eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs sollen Schwangerschaftsabbrüche nach Beratung bis zum Ende der zwölften Woche nach der Empfängnis (post conceptionem – p.c.) „grundsätzlich rechtmäßig gestellt“ werden.

Das widerspricht diametral der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach kann die von der Schwangeren letztverantwortlich getroffene und umgesetzte Entscheidung zum Abbruch nicht als rechtmäßig bewertet werden, weil die Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Tötung im Rechtsstaat nicht ohne Prüfung der dafür maßgeblichen Gründe möglich ist, auf diese aber gerade zwecks Vermeidung einer Fremdbestimmung der Frau verzichtet wird.

Die in der Begründung des Entwurfs aufgestellte Behauptung, die derzeitige Rechtslage verstoße gegen Grundrechte der Schwangeren und stehe im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen Deutschlands, ist offensichtlich unzutreffend. Das BVerfG hat die Grundrechte der Schwangeren (ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht [Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG] und ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit [Art. 2 Abs. 2 S: 1 GG] mit den Grundrechten des Ungeborenen (Menschenwürde [Art. 1 Abs. 1 GG] und Lebensrecht [Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG]) angemessen abgewogen und daraus eine austarierte Lösung entwickelt, die auch gesellschaftlich befriedend gewirkt hat. Die avisierte Neuregelung will den Schwangerschaftskonflikt dagegen einseitigen zulasten des Ungeborenen auflösen. Kein völkervertraglicher Vertrag verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland zu einer Neuregelung. Der geforderte Zugang zu medizinischen Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsabbrüche sicher und straffrei vorgenommen werden können, ist mit der geltenden Regelung gewährleistet.

Auch die Behauptung, die gegenwärtige Regelung schrecke Ärztinnen und Ärzte davon ab, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, ist abwegig. Sie treffen lediglich prozedurale, leicht zu erfüllende Pflichten. Wie die Statistik zeigt, errichtet das geltende Recht keine prohibitiv hohen Hürden für Schwangerschaftsabbrüche. Es kriminalisiert weder Frauen noch Ärzte, sondern – zu Recht – gegen Schwangere Gewalt verübende Männer.

Nach dem Gesetzentwurf soll die dreitätige Wartefrist zwischen Beratung und Schwangerschaftsabbruch entfallen, weil dies „zu Verzögerungen im Zugang zur Gesundheitsversorgung führe“. Die Wartefrist ist jedoch ein bei einer so weittragenden Enscheidung – einer Entscheidung über Leben und Tod – gebotener Übereilungsschutz.

Die ergebnisoffene Beratung soll nicht mehr, wie gegenwärtig in § 219 StGB festgehalten, dazu bestimmt sein, „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“. Die Beratung dürfe, so heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs, „nicht an vorab festgelegten Zielsetzungen wie der Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft orientiert sein“. Wie kann sie dann noch dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen?

Nach dem Gesetzentwurf sollen die Voraussetzungen zur Durchführung eines rechtmäßigen Abbruchs der Schwangerschaft nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden.

Die gegenwärtige Einordnung im Sechzehntem Abschnitt des Strafgesetzbuchs („Straftaten gegen das Leben“) macht aber deutlich, was ein Schwangerschaftsabbruch bedeutet: die Tötung eines ungeborenen Menschen.

Eine Ausgliederung aus dem Strafgesetzbuch ist daher mit der rechtssymbolisch bedeusamen Botschaft verbunden, dass die Regelungen zum Schutz des ungeborenen Lebens nicht so wichtig seien. Das verkennt grundlegend den Status des ungeborenen Menschen, dem Würde zukommt und der ein eigenes Lebensrecht hat, das nicht erst durch die Annahme seitens der Mutter begründet wird, sondern dem Ungeborenen schon aufgrund seiner Existenz zusteht.

Von diesem Lebensrecht ist in der Begründung des Entwurfs überhaupt nur ein einziges Mal die Rede, und dies verbunden mit der These, es handle sich um ein anwachsendes Lebensrecht. Dieser Konzeption eines abgestuften, stufenweise anwachsenden und erst mit Geburt zum Vollrecht erstarkten Lebensschutzes hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht eine klare Absage erteilt: „Das Grundgesetz enthält für das ungeborene Leben keine vom Ablauf bestimmter Fristen abhängige, dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgende Abstufungen des Lebensrechts und seines Schutzes … Liegt die Würde des Menschseins auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen, so verbieten sich jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtungen mit Blick auf Alter und Entwicklungsstand dieses Lebens oder die Bereitschaft der Frau, es weiter in sich leben zu lassen“ (BVerfGE 88, 203 [254, 267]).

Wie wenig den Initianten des Gesetzentwurfs der Schutz des ungeborenen Lebens noch wert ist, zeigt sich daran, dass die Schwangere nach der Neuregelung auch dann straflos bleiben soll, wenn sie sich nicht hat beraten lassen und ein Verstoß von Ärztinnen und Ärzten gegen die ihnen im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch obliegenden verfahrensrechtlichen Verpflichtungen keine Straftat mehr, sondern nur noch eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit sein soll.

Dass die Initiatoren des Gesetzentwurfs nicht nur den medizinisch indizierten, sondern jeden Schwangerschaftsabbruch als gewöhnliche Gesundheitsdienstleistung betrachten, zeigt schließt die vorgesehene regelmäßige Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen. Dabei erhalten schon nach geltendem Recht Frauen finanzielle Unterstützung für einen Schwangerschaftsabbruch, wenn ihnen die Aufbringung der Mittel für den Abbruch einer Schwangerschaft wegen geringen Einkommens nicht zuzumuten ist, so dass von einer, wie behauptet, „finanziellen Barriere beim Zugang zum Schwangerschaftsabbruch“ keine Rede sein kann.“


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Rainer Beckmann,
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